Marlin
Vor genau einer Woche verbrachte ich meinen letzten Tag bei der Solawi in Marlin. Nachdem ich am Mittwochnachmittag angekommen war, hatte ich vier Tage dort verbracht. Wie sich herausstellte, war ich zu einem günstigen Zeitpunkt gekommen, denn an diesem Wochenende sollte der jährliche Jungpflanzenmarkt stattfinden, der zunächst noch vorbereitet werden musste. Außerdem musste der Betrieb der Solawi weiterlaufen, sodass insgesamt viel Arbeit bevorstand. Mir wurde recht schnell das Gefühl vermittelt, dass ich und meine Hilfe sehr willkommen waren und so wurde ich offenherzig im Kreise der Gärtnerinnen und Gärtner aufgenommen.
Am Donnerstag und am Freitag sähten und pflanzten wir Kräuter, Blumen und verschiedenes Gemüse. Außerdem ernteten wir Salate, Pak Choi und Schnittknoblauch. Die Ernte wurde direkt vom Feld in den Abholraum gebracht, wo die Solawistas ihre Anteile abholen konnten. Der Jungpflanzenmarkt begann schon am Nachmittag des Freitags. Vormittags wurde eine üppige Vielfalt verschiedenster Gemüsesorten auf den Verkaufstischen drappiert, die wir noch am Vorabend aus alten Holzkisten zusammengestellt hatten. Während des zweieinhalbtägigen Marktes gerieten wir in einen harmonischen Fluss des Mitwirkens, der uns ermöglichte mit wenig Absprache in Harmonie miteinander zu arbeiten. Die Synergie unseres Zuarbeitens führte zu einer allgemeinen Freude und die Arbeit konnte von allen mit Leichtigkeit verrichtet werden. Abends kamen wir in geselligen Runden zusammen. Was letztlich zu dieser Symbiose bei unserer gemeinsamen Arbeit führte, ist mir noch unklar. Doch wäre es von großem Wert dieses Geheimnis zu lüften, denn was mir in meiner Zeit in Marlin erneut vor Augen geführt wurde, ist das ungeheure Potential, dass sich entfalten kann, wenn Menschen in Harmonie miteinander schwingen.
An einem warmen Abend saßen wir zusammen und sprachen über die Eule, die im Gebälk der Scheune hauste. Wie auf’s Stichwort hörten wir kurz darauf ihren Schrei. Wir drehten unsere Köpfe in Richtung Scheune und konnten gerade noch sehen, wie der große Vogel lautlos in die Nacht entschwand.
Hohenweddrien
Am Morgen des 8. Mai verließ ich Marlin und fuhr entlang einer Bundesstraße nach Hohenweddrien, wo ich mich bereits verabredet hatte. Mein Ziel war die Werkstatt und der Hof eines Drechslers, der kunstvolle Objekte aus lokalen Hölzern fertigte. H begrüßte mich sehr freundlich auf seinem Hof und lud mich zum Kaffee ein. Er führte mich über das Gelände und hielt bei mehreren Gelegenheiten an, um mir mögliche Arbeiten vorzuschlagen. So sollte beispielsweise ein Schleppdach an einem ehemaligen Schweinestall gebaut werden, das für den Bau einer Außenküche benötigt wurde. Der Hof beherbergte mehrere Scheunen, einen alten Schweinestall, ein ehemaliges Jauchesilo und einen einen historischen Gebäudekomplex mit zwei Wohneinheiten. In einer der beiden Wohnungen wohnte H mit seiner Freundin, in der anderen die Großmutter von H. Auf dem Gelände wohnten außerdem noch eine handvoll weiterer Personen auf angemieteten Bauwagenstellplätzen. Das Wohngefüge erinnerte mich dabei an eine lockere WG mit viel Raum für Begegnungen und Rückzugsmöglichkeiten.
Insgesamt wirkte die Atmosphäre auf dem Hof auf mich familiär und freundschaftlich. Ich blieb eine volle Woche, in der ich am Bau der Außenküche und allgemeinen Aufräumaufgaben beteiligte.
Für meine Nachtruhe diente ein Bauwagen, der allerdings nur zwei Außenwände hatte, wodurch ich nachts einen freien Blick zum Wald und in den Sternenhimmel hatte.
Am Tag vor meiner Abreise war es zum ersten Mal im Jahr warm genug für kurze Hosen. Abends machten wir Pizza in einem Holzofen und saßen dabei an einem prasselnden Lagerfeuer. Auf diese Weise läuteten wir den Sommer ein.
Güstritz
Der Weg von Hohenweddrien nach Güstritz führte mich über einen sandigen Forstweg durch einen lichten Kiefernwald und schließlich in die sanfthügelige Landschaft des Wendlands. Die Umgebung ist geprägt von historischen Fachwerkhäusern und Rundlingsdörfchen, die von endlosen Kartoffel, Raps und Getreidefeldern umgeben sind. Hier und da ragen Biogasanlagen wie riesige Hüpfburgen aus dem Farbgemisch von erdbraun, rapsgelb und hafergrün.
Ich fuhr etwa 2 Stunden durch diese Szenerie, bis ich schließlich das Rundlingsdorf Güstritz erreichte. Dort, hatte man mir gesagt, gab es eine Kommune mit einer Solawi. Im Dorf war das Wohnhaus der Kommune kaum von den anderen Fachwerkhäusern zu unterscheiden, sodass ich eine Anwohnerin nach der genauen Adresse fragte.
Als ich an der entsprechenden Haustür klingelte, öffnete mir G die Tür. Sie hieß mich schon nach wenigen Sätzen willkommen.
Ich setzte mich in den Schatten der Terasse und genoß das Gezwitscher der Vögel. Der Nachmittag neigte sich dem Ende zu und ich zog mich zurück auf den Heuboden, wo ich in Stroh eingebettet nächtigte. Meine ersten Tage in Güstritz füllte ich vor allem mit Arbeit in der Gärtnerei. Wir jähteten Möhren, ernteten Spinat, Postelein und Radieschen, pflanzten Tomaten, Auberginen und Paprika und pikierten Grünkohl. Nach Feierabend bereiteten sich die Menschen in Güstritz auf die Kulturelle Landpartie vor, einer gigantischen Kulturveranstaltung, die im gesamten Wendland während einer Woche zahlreiche Gäste anlockt.
Wie sich für mich herausstellte, zog Güstritz mit seinem vielfältigen Veranstaltungsprogramm zur Kulturellen Landpartie (KLP) eine große Zahl Besucherinnen und Besucher an. Viele helfender Hände reisten bereits ein oder zwei Tage vor Beginn der KLP an. Der Hof füllte sich in den Tagen meines Besuches stetig mit Menschen und ich hatte jeden Tag neue Begegnungen und viele Gespräche. Nachfolgend vermitteln beispielhafte Beschreibungen ein Bild meiner Zeit in Güstritz.
C sprach mit mir über Gruppenbildungsprozesse in Gemeinschaften, dass Gruppen zu Parteien werden können, die die Gemeinschaft spalten. Er erzählte mir von der Zeit, als die Bewohnerinnen und Bewohner in Güstritz noch ihr gesamtes Vermögen teilten.
Mit E sprach ich über Feminismus, über weibliche und männliche Energien, über das Ungleichgewicht dieser Energien in der gegenwärtigen Zeit. Wir sprachen über die Zapatisten und die Kogi und sie fuhr mit mir zu ihrer Freundin R, die einige Jahre in Kolumbien lebte und die Kogi gut kannte. R berichtete uns, wie sie mit eigenen Augen gesehen hatte, dass die Kogi mit einem speziellen Ritual Wasserquellen erzeugen können.
In einem Gespräch mit M lernte ich die Soziokratie kennen. M erklärte mir die Entscheidungsprozesse dieser Organisationsform und betonte die Wichtigkeit der Frage nach dem "Warum".
Mit M verbrachte ich einen Nachmittag, währenddessen wir eine neue Treppe für die Komposttoiletten bauten. M, der mit seiner Familie nach einer Gemeinschaft zum wohnen suchte, erzählte mir von Kommunen, die er gesehen hatte, von einem gescheiterten Gründungsversuch einer eigenen Gemeinschaft in Finnland und von seinen Reisen nach Südamerika.
K und P teilten ihre Erfahrungen im Gärtnern mit mir und wir verbrachten schöne und arbeitssame Tage mit lebhaften Pausen.
G sprach mit mir über Urvertrauen, über Pachamama und über menschliches Potential.
M führte uns während eines Workshops in die Kunst der Clownerie ein und eröffnete mir damit eine neue Perspektiven auf diese feinsinnige Spielart.
Ich blieb insgesamt eine Woche in Güstritz. Viele weitere Begegnungen fanden in dieser Zeit statt. Ich arbeitete jeden Tag auf den Feldern oder in der Gästeküche und füllte meine Pausen mit dem bunten Programm der KLP, mit Konzerten, Theateraufführungen, Parties und Lagerfeuern.